125 Jahre Künstlerkolonie Ahrenshoop

In diesem Jahr feiert Ahrenshoop sein 125-jähriges Jubiläum als Künstlerkolonie. Der kleine Küstenort auf dem Darß entwickelte sich von einem abgeschiedenen Fischerdorf zu einem lebendigen Künstler- und Erholungsort. Schon früh kamen die ersten Maler hierher, um sich Anregungen für ihr künstlerisches Schaffen zu holen. Sie fanden in diesem schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Bodden ihre Motive, die Ahrenshoop bald zu einer der bekanntesten Künstlerkolonie in Deutschland machte.
Gegründet wurde die Künstlerkolonie vom Maler Paul Müller-Kaempff. Dieser weilte am Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Malerfreund auf dem Darß. Die beiden Künstler entdeckten Ahrenshoop auf einer Wanderung entlang dem hohen Ufer „… als wir die letzte Anhöhe erreicht hatten, zu unseren Füßen ein Dorf: Ahrenshoop. Wir hatten von seiner Existenz keine Ahnung und blickten überrascht und entzückt auf dieses Bild des Friedens und der Einsamkeit…“ . Im Laufe  der nächsten Jahre entdeckten weitere Künstler die beschauliche Idylle, wie z. B. Carl Malchin, Elisabeth von Eicken, Thuro Balzer, Oskar Frenzel, Anna Gerresheim u.a. Auch  Wilhelm Löber, der Begründer der Fischland- und Rügenkeramik und die Bildhauerin Hedwig Woermann wurden hier sesshaft.
Eine der bekanntesten Chronisten dieser Zeit war die Schriftstellerin Käthe Miethe, die im Ortsteil Althagen lebte und regen Anteil am Leben der Künstler nahm.
Kunsthäuser, Galerien, Maler, Grafiker und Keramiker prägen bis heute das Bild des Ortes, der damit sowohl der Kunst aus der Zeit der Künstlerkolonie sowie der zeitgenössischen Kunst in zahlreichen Ausstellungen und Arbeitsmöglichkeiten ein Zuhause bietet. Bis zum Oktober 2017 finden noch zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen zum Jubiläumsjahr statt.

Grund genug, um vielleicht mal wieder einen Ausflug auf den Darß zu planen …

Ahrenshoop - Künstlerkolonie zwischen Meer und Bodden von Wolf Karge möchte ich entleihen.


Quelle: Verlag Atelier im Bauernhaus

AH

"süchtig" von Lorenz Gallmetzer


" Mein Lebensprinzip war immer: Lieber mit Vollgas gegen die Wand als mit 80 gesund im Altersheim."

Der das sagt bzw. schreibt, ist Lorenz Gallmetzer, Jahrgang 1952, erfolgreicher Journalist in Print und TV in unserem Nachbarland Österreich, alkoholkrank. Trotz seiner derzeitigen Abstinenz: ist er süchtig.
In „süchtig“ skizziert Gallmetzer Lebensläufe von Menschen, die er im Verlaufe seiner eigenen Therapie in der 1961 als „Trinkerheilanstalt“ gegründeten „Kalksburg“, heute mit mehr als 300 Patienten die größte Suchtklinik Europas, kennen gelernt hat.
Doch zuerst beschreibt der Autor sein eigenes Leben, seinen Weg in die Sucht, die Achterbahn des Alkohols, verschiedene Therapien, Erfolge, Niederlagen, … In einem Interview sagt er, er habe dies offenbaren wollen, um als Autor dieses Buches glaubwürdig zu sein und bei seiner Schilderung der Schicksale anderer Menschen nicht in die Rolle des Voyeurs zu geraten.
Diese einzelnen Fälle lesen sich wie therapeutische Anamnesebögen, sehr sachlich und ehrlich, so dass der Leser „in sicherer Distanz“ bleiben kann, wenn er mit der großen Palette menschlichen Leides konfrontiert wird. Hier wird klar, was Sucht ist, egal ob Drogen jeder Art, Tabletten, Alkohol oder Glücksspiel.
Da ist die Geschichte von H.J. (60), den der Autor in der Bibliothek der Anstalt kennenlernt. Bei ihm war der Alkohol seit frühester Jugend selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Er trank, weil „man eben trank“, eine alkoholpermissive Umwelt, wie sie dem Leser in vielen der Geschichten begegnet. Nach einem tragischen Ereignis, das ihn, glückliche Fügung, endgültig vom Alkohol wegbringt, kommt die Spielsucht. Er selbst sagt im Rückblick, er habe einen Kick gebraucht, um gegen sein geringes Selbstwertgefühl anzukämpfen, „gegen die Kälte“ in ihm.
Oder R.M. (48), der bereits zum dritten Mal in der Klinik ist. Erst zum Alkoholentzug, dann wegen einer Tablettensucht, nun wegen Alkohol und Tabletten. Zur Überraschung des Lesers: R.M. hat jahrelang als Berufssoldat im österreichischen Heer gedient, bis die Sucht ihm den Boden unter den Füßen wegzog.
Den 41-jährigen G.K. sieht Gallmetzer zum ersten Mal barfuß im Gras vor der Klinik. Er erklärt,  dass er unter einer Überempfindlichkeit allen äußeren Reizen gegenüber leide, die ihm seit seiner Kindheit zu schaffen macht. Um diese Überflutung in seinem Inneren verkraften zu können, hat er frühzeitig begonnen, sich mit Alkohol zu „befreien“, zu dämpfen.
Süchte sind oft Symptome für tieferliegende psychische Probleme und Störungen, oft gehen Depression, bipolareaffektiveStörungen, sogar BorderlineStörungen damit einher. Natürlich hören wir oft von schweren Kindheiten, missglückten Beziehungen, sexuellem Missbrauch und Gewalt. So wie bei Gallmetzer selbst werden aber auch stabile Charakteristika einer Persönlichkeit geschildert: die Person, die ein Leben lang von einem melancholischen Grundrauschen begleitet wird, das generell unsichere und schüchterne Kind etc.
Gallmetzer nähert sich den Personen und ihren Krankengeschichten immer mit großem Respekt und so wird der Leser Zeuge von Lebenskrisen, die diese Menschen entweder in den Phasen der Sucht oder den Torturen des körperlichen Entzuges und den folgenden psychischen Herausforderungen im Kampf um die dauerhafte und stabile Abstinenz durchlitten haben oder noch durchmachen.
Sein Schreibstil ist spürbar journalistisch, mit nur einem Mindestmaß an Fachbegriffen, so macht er es dem Leser leicht, den Geschichten zu folgen. Das abschließende Interview mit dem Leiter der Klinik Kalksburg, Dr. Michael Musalek, ist eine aufschlussreiche und gut verständliche Lektüre, die dessen ressourcenorientierten Therapieansatz anschaulich beschreibt.
Ein anrührendes Buch ohne Larmoyanz und erhobenen Zeigefinger, in dem viel Wissen vermittelt wird, nicht zuletzt auch das Wissen: der Kampf gegen eine Sucht ist für die Betroffenen und ihr Umfeld ein lebenslanges Projekt.
MB

Osterspaziergang

Obwohl meine Schulzeit schon etliche Jahre zurück liegt, immer zu Ostern versuche ich mich an alle Zeilen von Goethes "Osterspaziergang" zu erinnern. Erstaunlicherweise kenne ich den Text immer noch. Testen sie doch einmal wie weit sie kommen!


Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
zog sich in raue Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weisses.
Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farbe beleben.
Doch an Blumen fehlts im Revier.
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden.
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Strassen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluss in Breit und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt,
und, bis zum Sinken überladen,
entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges ferner Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel.
Hier ist des Volkes wahrer Himmel.
Zufrieden jauchzet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!

Im Gedicht finden sie einige interessante Empfehlungen aus dem Bestand der Stadtbibliothek - einfach mal klicken!

Wir wünschen ein schönes Osterfest!


Foto: privat


H.K.

"Der tote Reformator" von Frank Schlößer


Ein neuer Band in der Krimi-Reihe des Hinstorff Verlages, zum ersten Mal ein historischer Rostock-Plot. Und wie sollte es im Reformations- und Luthergewühl dieser Tage anders sein: es geht um den Rostocker Reformator Joachim Slüter, sein Leben, sein Wirken und seinen Tod.

Bild: Hinstorff-Verlag
(möchte ich entleihen)
In neun retrospektiven Abschnitten erzählt der blinde Vikar Dionysius Schmidt einem unbekannten Gönner, was am Pfingstsonntag 1532 und darum herum passierte: Joachim Slüter wurde vergiftet und dies offensichtlich schleichend und systematisch, denn auch lange vor seinem Tod sei der charismatische Prediger immer wieder blass und siech gewesen. Slüter wurde von den Alt-Gläubigen vorgeworfen, dass er die gesamte Messe auf Deutsch hielt, sodass jedes Wort, vom Schuldbekenntnis bis zum Segen, von der Gemeinde verstanden werden konnte.

Bürgermeister Bernd Murmann beauftragte damals Dionysius Schmidt, seinen Jugendfreund, den Mörder zu finden. Sein Beweggrund? Unklar! Schmidt ist ein charmanter und gewitzter Führer durch die Geschichte. Er ist: „Der Vikar mit dem lustigen Namen, der vor Jahren den Lutherspruch über Slüters Tür auslöschte – wenigstens für ein paar Jahre.“ Denn damals, als Schmidt selbst noch dem alten Glauben anhing, hatte dieser mit dem Teerquast den Satz „Gottes Wort bleibt in alle Ewigkeit“ über dem Türstock des Reformators Slüter überpinselt. Aber, auch Schmidt wechselte schlussendlich das Lager. Der Erzähler ist ein sympathischer Feigling mit einem großen Vorteil, der ihn hat überleben lassen: „Sie sagten, dass du alle kennst, aber immer neben dem Streit stehst.“ Wahrlich – eine Lebensversicherung!

Und Schmidt sucht auf des Bürgermeisters Geheiß, wenn auch mit gemischten Gefühlen, quer durch die Stadt nach Beweisen, Indizien, spricht mit Menschen, sammelt Beobachtungen, Meinungen, …….. In einer spannenden und amüsanten Geschichtsstunde entwickelt sich der Kriminalfall. Und natürlich geht es der Zeit gemäß um die Kämpfe zwischen Papisten und Martinisten; wie in einem Brennglas werden die großen Fragen dieses Jahrhunderts für ganz Europa im Rahmen der Rostocker Verhältnisse verhandelt: „Mag die Welt sich neuerdings sogar um die Sonne drehen – hier bleibt alles beim alten, hier dreht sich die Sonne weiter um den Mittelpunkt der Welt: den großen Markt.“

Schmidt sucht und der Leser mit ihm, dankenswert unterstützt von einem relativ ausführlichen Personenregister, (leider ohne Stadtplan, der auch hilfreich gewesen wäre!) bei den Honoratioren der Stadt, unter anderem beim Juristen Oldendorp, der offenbar schwul ist und böse schielt, und den der arme Schmidt bei der Lektüre eines frühen Pornos, dem Aretino, erwischt. Und direkt hinter dem peinlich Berührten taucht dann auch das dazugehörige Eheweib auf, ……. ups!

Diese Konstellation gibt dem Autor die Gelegenheit, ein hintersinniges Sittenbild des damaligen Rostock zu entfalten, in dem neben der Reformation auch der offene Antisemitismus dieser Zeit und die Rolle des Buchdrucks  Erwähnung und dramaturgische Funktion finden. „Die Reformation, die doch erst nur die Wittenberger Universität erfassen sollte und nun selbst bis Rostock gekommen war – sie klang nach dem Knarren der Spindeln der Druckpressen in Dietzens Druckerei.“

Ein Schuss Liebe ist auch dabei; wir lernen eine erstaunliche Frau kennen, die, als junges Mädchen gegen ihren Willen vom Vater hinter die Mauern des Klosters verbannt, Jahre später dem damaligen Liebhaber gegenüber folgende Worte findet: „Jede von uns findet ihre Antwort. Aber glaub mir: Auf Schwänze können wir alle ganz gut verzichten. Auch von diesem Prügel haben wir uns befreit.“

Und natürlich ist der Leser immer auch – neben der Suche nach dem Mörder - eingeladen, das gegenwärtige Rostock in der Geschichte zu suchen, - und zu finden! Genüsslich wird gegen das Rostocker Theaterpublikum ausgeteilt. „Auch an diesem Pfingstmarkt vermisste niemand das Theater.“

Und auch Termingeschäfte, die heute als Exzess der virtuellen Globalisierung viel gescholtenen, hat es damals schon gegeben; „Die jungen Kaufleute handeln jetzt das ganze Jahr hindurch mit Zetteln, mit denen die zukünftige Existenz einer Anzahl Heringsfässer durch eine Unterschrift zugesichert wurde.“ – was die Älteren für durchaus gotteslästerlich hielten.

Auch die anderen bekommen ihr Fett weg, die Kirchenoberen, egal ob Katholiken oder Protestanten und der Bürgermeister, die Ratsmitglieder, das komplette Establishment. Schon vor 500 Jahren fanden die Ratssitzungen mittwochs statt (oder auch nicht) und waren von zweifelhaftem Gehalt und Nutzen.

Im Mittelpunkt immer deutlicher das unselige Treiben des Bürgermeisters Bernd Murmann, der erst heimliche, dann immer präsenter werdende Hauptdarsteller des Buches. Nach einem delikaten Zwischenfall tönt es auf dem Marktplatz: „Ich glaube, wir bringen den Herren Bürgermeister … in die Ratsstube. Was dort passiert, stinkt uns doch schon so lange, da fällt die Schweinescheiße gar nicht weiter auf.“

Und unser Erzähler konstatiert zum Ende der Geschichte: „Offensichtlich konnte man in der Stadt einen guten Ruf schnell verlieren, wenn man nicht aus Rostock kam. Wer aber hier aufgewachsen war, der konnte hier auch mit einem schlechten Ruf gut leben. Mein Freund, und was soll ich dir sagen: So ist es heute noch!“

Mehr wird jetzt nicht verraten; Selbstlesen unterhält und klärt den Mord!

Weitere Ostseekrimis aus dem Hinstorff Verlag in unserem Bestand:

Historisches:


von Frank Pergande:


Aus Rostock:


MB